Selig sind, die Verfolgung leiden

Matthäus 5,10


Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

 

Liebe Gemeinde,

Grenzen fallen und werden wieder aufgerichtet. Grenzen werden ignoriert und überrannt. Grenzen werden mit Stacheldraht, Polizei und Militär verteidigt. Um Grenzen geht es nicht nur in diesen Tagen, in denen sich Flüchtlinge an den neu errichteten Zäunen und den versperrten Toren drängen, in denen die Regierung von Ungarn, mit der unsere dortige Partnerkirche eng verwoben ist, Sperranlagen baut und vor kurzem den letzten Korridor dicht gemacht hat – um Grenzen, die Sicherung der EU-Außengrenzen und das Abfangen der Flüchtenden bei den Grenzorten Freilassing, Passau oder Wegscheid im Bayerischen Wald – um Grenzen geht es heute und ging es auch bei der Reformation und deren Folgen. Auch sie löste mehrere Flüchtlingswellen aus. Um Grenzen geht es schließlich beim neuen Jahresthema auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017. Ab heute heißt das Thema: Reformation und die eine Welt. Das Themenjahr wird heute in Straßburg eröffnet. Welche Stadt würde sich besser dafür eignen als diese, die zwischen Frankreich und Deutschland hin und her geschoben wurde. Welche Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich standen, mit Betonbunkern befestigt, aber genauso zementiert in den Köpfen und Herzen, das können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen, obwohl bis vor 70 Jahren man sich gegenseitig als Erzfeinde hasste.

Man könnte die Bergpredigt Jesu als einen einzigartigen Aufruf verstehen, die Grenzen einzureißen. Denken Sie nur an die Grenze zwischen Freund und Feind. „Ihr habt gehört und es ist tief verwurzelt in euch drin: du sollst deine Freunde lieben und deine Feinde hassen, den einen Gutes tun und die anderen bekämpfen.“ Jesus stellt es auf den Kopf: Was ist schon besonderes daran, wenn ihr die liebt, bei denen es euch leicht fällt. Manchmal fällt es leicht zu lieben, weil die, denen unsere Nächstenliebe gelten soll, weit weg sind. Afrikaner in Tansania zu unterstützen, medizinisch für sie zu sorgen, dass sie einen Arzt, ein Krankenhaus besuchen können, dass sie geröntgt werden können, dass sie die richtige Arznei bekommen, fällt vielleicht leichter, als wenn Afrikaner aus Somalia zu uns kommen als Flüchtlinge. Ich will nichts dagegen sagen, unseren fernen Nächsten zu lieben durch Spenden für unser Projekt MNT, die Medizinische Nothilfe für Tansania. Ganz im Gegenteil: ich bin froh, dass dies seit über 30 Jahren läuft und dass die Menschen, die sich z.B. auf den Marktplatz stellen und den Flohmarkt abhalten, nicht müde werden und dass sich immer wieder neue finden, die das fortführen. Oder dass wir jetzt den zweiten Geländewagen nach Tansania schicken können, nachdem der Rotary Club Bayreuth-Eremitage einen Krankenwagen für Machame gespendet hat und nun ein Transporter für die Mitarbeiter in Karatu gebraucht wird, damit die Leute überhaupt zur Arbeit kommen. Man darf das nicht gegeneinander ausspielen, die Hilfe für den fernen Nächsten, und die, die uns jetzt auf den Leib rücken. Überhaupt wird das für den sozialen Frieden in unserem Land eine entscheidende Frage sein, dass nicht Sozialneid aufkommt oder zumindest nicht überhandnimmt. Noch haben Sozialhilfeempfänger und andere Hilfsbedürftige m.W. keine Nachteile durch das Engagement für die Flüchtlinge. Die Welle der Hilfsbereitschaft, über die wir stolz und glücklich sein könnten, geht nicht auf Kosten anderer Armer. Wenn es dann um die Verteilung günstigen Wohnraums gehen wird, wenn anerkannte Flüchtlinge die Einrichtungen verlassen und eigene Wohnungen brauchen, wird es sich zeigen. Der soziale Wohnungsbau jedenfalls wurde lange vernachlässigt.

Aber ich war ja bei der Bergpredigt und dabei, dass Jesus Grenzen niederreißt. Dort wo wir sagen würden: Jetzt ist aber Schluss, da fordert er: gib das Doppelte. Wo dich einer auf die rechte Wange haut, halte ihm auch noch die Linke hin. Wenn dich ein römischer Besatzungssoldat zwingt, seinen Rucksack einen Kilometer zu schleppen, wo zu er das Recht hat, so wie immer Soldaten einquartiert wurden in die Wohnungen und Häuser – wenn er dich für eine Meile zwingt, sagt Jesus, dann geh zwei Meilen mit ihm. So wie Gott seine Sonne scheinen lässt über Gute und Böse, so sollt auch ihr ohne Rücksicht auf bestehende Grenzen barmherzig sein. Eure Gerechtigkeit, eure Güte, eure Liebe soll vollkommen sein, noch besser als die Gerechtigkeit der Pharisäer, die eben nicht nur gesetzestreu waren, zwanghaft gesetzlich, sondern auch soziale Wohltäter, spendenfreudig und engagiert.

Schon Jesus musste sich wohl den Widerspruch gefallen lassen: Das überfordert uns. Den Feind zu lieben und damit eben alle, Nahe und Ferne, den Bekannten und den Unbekannten, den Fremden, den, der aussieht, der spricht, der glaubt wie wir, und den, der ganz anders ist, den, der sich friedlich integriert und den, der gewalttätig wird, ja, man müsste konsequenter Weise ja auch hinzufügen: die, die in Dresden am 20. Oktober 2014 unter dem Namen Pegida erstmals auf die Straße gingen und heute nicht vor extremem Rassismus zurückschrecken, wenn da z.B. ein Schild hoch gehoben wird: „Islam = Karzinom“, also das tödliche Krebsgeschwür für unsere Gesellschaft – ja, soll die Feindesliebe auch denen gelten, die fremdenfeindliche Parolen schreien oder gar Flüchtlingsunterkünfte anzünden? Da scheint dann sofort und ohne Widerrede klar, dass man mit der Bergpredigt nicht regieren kann, weder die Welt noch irgendeinen Staat oder einen Landkreis und eine Kommune.

Wir brauchen Grenzen. Unsere Gesellschaft muss denen Grenzen setzen, die den Frieden und die Freiheit bedrohen. Niemand wird sagen, wer das Haus in Vorra anzündet, dem reichen wir noch den Flammenwerfer für das nächste. Das hat Jesus sicher nicht gemeint. Auch den menschenverachtenden Parolen der Pegida muss der Rechtsstaat mit seinen Mitteln entgegentreten. In unserem Staat hängt man keine Politikerpuppen als Drohung an den Galgen. Übrigens war für Martin Luther auch das eine Form der Liebe, das Böse zu bekämpfen, es einzudämmen und sich ihm entgegenzustellen. Wie man das gegen den Hass, die Unflätigkeit, all das Unerträgliche und Unmenschliche anstellen kann, das im Internet wuchert, weiß ich nicht. Zu diesen Grenzen, die den Frieden und die Freiheit in unserem Land schützen, gehört auch, denen, die zu uns kommen, klar zu machen, welche Werte bei uns gelten. Auch das gehört zur Integrationsaufgabe, dass zum Beispiel bei uns Gleichberechtigung von Frauen und Männern herrscht. Wir brauchen Grenzen. Das gilt ja auch in unserem Zusammenleben, dass man zum Beispiel Kindern in der Erziehung Grenzen setzen und aufzeigen muss.

Ob wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen schon an eine Grenze gekommen sind, wage ich nicht zu beurteilen. Während die Menschenmengen in Passau und Weidhaus längst alle räumlichen und personellen Möglichkeiten überschreiten, stehen in München die Quartiere leer und die Helfer warten vergeblich; wo doch einige Sonderzüge wie damals bei der Wende schnell eingesetzt werden könnten. Sicherlich, auch da gibt es Grenzen. Grenzen der Aufnahmefähigkeit sind sicherlich in den Nachbarländern Syriens erreicht, wenn in Jordanien auf sechs Millionen Einwohner 1,1 Millionen Flüchtlinge kommen. An der Erschöpfungsgrenze sind viele Beamte und Mitarbeiter von Landkreisen, Regierungen, Städten und Gemeinde und vor allem manche der vielen, vielen Ehrenamtlichen. Aber gerade von letzteren höre ich immer wieder dieses: Wir schaffen es. Das erinnert mich an das Lied der Hoffnung, das schwarzen Sklaven damals in Amerika in ihrem Freiheitskampf Kraft gab: We shall overcome.

Aber, liebe Gemeinde, sind das nicht alles politische Fragen? Soll die Kirche da Partei ergreifen, wie es auch unser Landesbischof oder unsere Regionalbischöfin tun, die von der CSU-Führung zum Klausurtag nach Kloster Banz eingeladen war, als es um die Flüchtlingsthematik ging. Ob alle da ihren Beitrag so gerne gehört haben, weiß ich nicht, aber wir können nicht schweigen. Wir haben nicht die politischen Lösungen. Wir wissen auch nicht, wie viele Flüchtlinge unser Land verträgt. Aber wir haben Jesus im Ohr, der sagt: Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Das heißt nicht, dass wir alle Fremden und Flüchtende Welt aufnehmen können. Das heißt nicht, alle, die Ängste haben, begründet oder unbegründet, als Ungläubige abzustempeln. Kleingläubige sind wir alle, dass wir Gott immer wieder zu wenig zutrauen. Aber dieser Auftrag Jesu bleibt, auch wenn wir ihn in unseren politischen Verhältnissen und mit unseren manchmal engen Herzen und unserer beschränkten Fantasie immer nur eingeschränkt erfüllen können.

Ich will am Ende doch noch auf dieses Motto zurückkommen: Selig sind, die da Verfolgung leiden, heißt es in einer Vertonung der Bergpredigt, denn das Himmelreich ist ihr. Das lenkt unseren Blick zurück auf die Menschen, die verfolgt werden. Das ist der Kernbereich unserer Asylgesetzgebung: den Verfolgten Schutz zu geben. Sicherlich sind unter den Flüchtenden viele, die aus anderen Gründen kommen. Doch Jesus nennt in den Seligpreisungen ja auch die Armen (bei Lukas ganz materiell gemeint: die, die nichts oder wenig haben) und die, die Leid tragen, also auch die Schreckliches erlebt haben oder gar traumatisiert sind. Selig, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Sie sollen satt werden, sie sollen getröstet werden, ja: ihrer ist das Himmelreich. Ihnen gehört die Zukunft. Damit ist sicherlich nicht unser Arbeitsmarkt gemeint, obwohl es in dieser Hinsicht sehr vernünftig sein kann, möglichst viele der so lernbegierigen jungen Leute oder auch der zum Teil hochqualifizierten Fachleute aufzunehmen. Es gehört ja auch zum Geheimnis der Nächstenliebe, dass diese sich langfristig auszahlt. Genf, das zur Reformationszeit vor Glaubensflüchtlingen überquoll, dass man einfach die Hausdächer hochhob und noch ein paar Stockwerke darunter setzte, ist immer noch die reichste Stadt der Welt. Aber Jesus ist kein Volkswirtschaftler oder Handwerkskammerpräsident. Er sieht Gottes Zukunft. Und bei Gott gehört den Armen die Zukunft, denen, die Leid tragen, die sich nach Frieden, nach Gerechtigkeit sehnen. Jesus verspricht es ihnen. Deshalb preist er sie jetzt schon glücklich. Wer die Menschen, die jetzt an den Grenzzäunen vor Kälte frieren, so ansieht, als Leute, denen Gott Zukunft gibt, und zwar nicht erst im Himmel, sondern jetzt schon auf Erden, der wird bei aller Begrenztheit das Nötige und Mögliche tun. Jesus lenkt den Blick auf die Armen, die Notleidenden, die Verfolgten und spricht sie als Menschen an, denen Gott barmherzig ist und die deshalb eine Würde und eine große Hoffnung haben. Entscheidend bei allem, was wir in der Flüchtlingsfrage tun können oder auch nicht tun können, ist, als was wir die Menschen sehen: als Eindringlinge, als unpersönliche Flut, als Konkurrenten, als Gefahr oder so wie Jesus sie sieht: selig, weil sie eine Hoffnung und ein Versprechen haben. Amen

 

 

 



Autor: Hans Peetz