"So ein Blödsinn"?

1. Korinther 1,18-25


Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

 

Liebe Gemeinde,

„So ein Blödsinn!“ Dieses abschätzige Urteil könnte einem manchmal entfahren, wenn man sich mit manchem religiösen oder pseudoreligiösen Glauben beschäftigt, womit heute besonders auf dem Markt der alternativen Heilverfahren Geld verdient wird. Zum Beispiel die Bach- (sprich „bätsch“)Blüten, die nichts mit einem plätschernden Bach zu tun haben, also keine Sumpfdotterblumen. Ein Amerikaner namens Bach hat 38 unharmonische Seelenzustände entdeckt, von der schlechten Laune bis zur Depression, und intuitiv jeder Gefühlslage eine Pflanze zugeordnet, die dagegen hilft; nicht das Jahrhunderte alte Wissen um die Heilkraft von Pflanzen, das heute wieder entdeckt wird und das man auch auf der LGS studieren kann, sondern wie ein echter Guru durch Eingebung. Nicht nur der Sud dieser Pflanzen soll helfen, sondern schon die Schwingungen, die sie aussenden. Man könnte auch an die Kiesel und Kristalle denken, an deren heilende Wirkung man schon glauben muss, damit sie helfen. Der Glaube versetzt manchmal Berge, auch wenn wir manches als Aberglauben betrachten. .

„So ein Blödsinn!“ möchte man sagen. Dieses Urteil pendelt zwischen Ärger und Spott. Der Spott zieht es ins Lächerliche: Wie kann man so dumm sein, an so etwas zu glauben und dann auch noch Geld dafür auszugeben? Wir könnten uns ins finstere Mittelalter zurückversetzt fühlen, in dem die Leute an Geister und Dämonen glaubten und sich vor ihnen fürchteten. Aber so lange ist das gar nicht her, dass die junge Mutter vor der Taufe nicht mit dem Kinderwagen ins Freie durfte. Dahinter steckt die Angst vor bösen Geistern. Wir sind versucht, dies als Aberglauben zu verurteilen, der sich bis in religiösen Wahn steigern kann. Und wir könnten ärgerlich reagieren, weil es doch Leute gibt, die so etwas ernst nehmen. Weil das Ganze eine Aufmerksamkeit erregt, die es gar nicht verdient. Und vor allem, weil manche sogar darauf hereinfallen und dieser Gruppe beitreten könnten. Aber Vorsicht, denn viele Menschen heute beurteilen unseren christlichen Glauben genauso. Vielleicht noch an Gott glauben, besser an irgend ein höheres Wesen, ganz unbestimmt, von dem man nichts wissen und nichts sagen kann (Goethe: Was soll mir euer Spott und Hohn über das All und Eine, Professor ist eine Person, Gott ist keine); dass dieser Gott in Jesus Christus Mensch wurde, ist für sie Unsinn, und die Feier des Abendmahls vielleicht so unverständlich wieder Bachblütenaufguss für uns.

„So ein Blödsinn!“ Mit dem gleichen Urteil muss sich Paulus in Korinth auseinander setzen. Doch da ging es nicht um Aberglauben“ oder eine der vielen obskuren Sekten. In der griechischen Welt- und Hafenstadt Korinth an der berühmten Meerenge ging es um den christlichen Glauben. „So ein Blödsinn“, urteilten damals viele über die Botschaft von Jesus Christus und seinen Tod am Kreuz, der uns rettet und erlöst. Spott hatten vor allem die Gebildeten dafür übrig, das Volk der Dichter und Denker, der Philosophen. Griechenland, das war damals der „brain trust“ der Welt, die geistige Elite. Sollten sie daran glauben, dass der schmähliche Tod eines Aufrührers da unten in Palästina eine entscheidende Bedeutung für die Welt haben soll? Ärgerlich war der christliche Glaube vor allem für die Juden, weil die Christen ihre Bibel benutzten und für sich auslegten, weil sie die großen Versprechen Gottes, die er seinem Volk gegeben hatte, auf sich bezogen; weil sie Jesus Christus, den Gekreuzigten als den verheißenen Messias verehrten, wo sich doch äußerlich gar nichts geändert hatte und das Reich Gottes wirklich nicht angebrochen war. Und weil so viele Juden auf diese neue Kirche hereinfielen.

„So ein Blödsinn!“ urteilen viele Griechen und Juden über das junge Christentum. Und was sagt Paulus dazu: Jawohl, sagt Paulus, das was wir verkündigen und glauben, das Wort vom Kreuz, das ist für die einen eine Dummheit und die andern ärgern sich darüber. Aber das ficht Paulus überhaupt nicht an, ganz im Gegenteil. Er sagt: Das muss so sein. Das ist ganz natürlich. Die Wahrheit ist doch immer nur die Sache weniger gewesen, die Masse versteht‘s eh nicht, die „massa perditionis“ – die Masse der Verlorenen. Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden. Die Weisheit der Welt kann Gott nicht erkennen, versteht seinen Weg mit uns Menschen nicht.

Es ist fast schon ein Märtyrerbewusstsein: Angriffe, Kritik dienen dann nur der eigenen Bestätigung. Viel Feind – viel Ehr‘. Je mehr die anderen spotten und sich aufregen, desto mehr zeigen sie damit ihre Borniertheit, dass sie nichts verstanden haben, dass bei ihnen eben Hopfen und Malz verloren ist. Ja, dass sie nicht zu den Auserwählten gehören. Die Worte des Apostels Paulus klingen fast so: Für die Verlorenen ist unsere Botschaft Dummheit und Ärgernis; für die Berufenen, die Auserwählten Gottes sind sie aber Kraft und Weisheit. Wenn die anderen aber das Wort vom Kreuz ablehnen, bestätigen sie nur, dass der Prophet Jesaja recht hatte: Die anderen sind verstockt. Was stört uns das, wir haben es begriffen, uns dient es zum Heil.

Ich will einen anderen Typ, eine andere christliche Position dagegen setzen und damit ins Gespräch bringen. Der Theologe Daniel Friedrich Schleiermacher schrieb im vorletzten Jahrhundert das Buch „Reden über die Religion“. Der Untertitel erklärt die Zielrichtung: an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Schleiermacher schreibt für die Verächter, also genau für die, die über den christlichen Glauben sagen: „So ein Blödsinn!“ Aber er will sie gewinnen, will sie überzeugen, dass dieser Glaube gar nicht so dumm und abwegig ist, sondern eigentlich ganz vernünftig.

Zwei Arten, damit umzugehen, dass viele die christliche Botschaft, das Wort vom Kreuz nicht glauben können, es ablehnen, ja es verächtlich machen: die eine, die selbstbewusste, die sich in unserem heutigen Predigttext ausdrückt: Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit, eine Dummheit in den Augen derer, die verloren sind; uns aber, den Auserwählten Gottes ist es eine Gotteskraft, die selig macht. Dass euch viele, ja besonders die Gebildeten und Erfolgreichen für verrückt, für dumm halten, schreibt er den Christen in Korinth, das muss euch nicht erschrecken oder verunsichern. Ganz im Gegenteil: die Ablehnung sollt ihr als Bestätigung  deuten. Ablehnung als Stärkung. Das ist der eine Weg. Immer wieder haben es Christen so erlebt und erleben es heute so. Wer etwas von Gottes höherer Weisheit verstanden hat, dem macht es nicht viel aus, für dumm angesehen zu werden.

Im Wort vom Kreuz geht es z.B. um Stärke und Schwäche. „Du musst stark sein!“ ist ein gängiges Erfolgsrezept. Nur keine Schwäche zeigen. Siegertypen dürfen nicht schwach sein. In einem Boxkampf nutzt der Gegner die Schwachstelle unerbittlich aus: immer drauf, wo es am meisten weh tut. Siegertypen müssen so etwas wie unfehlbar sein. Und Jungs müssen cool sein. Ich habe gelesen, dass es unter manchen Jungs als uncool gilt, vor den Freunden zärtlich zu einem Mädchen zu sein. Das sieht dann so aus, dass er plötzlich auf Abstand zu seiner Freundin geht, wenn sich andere Jungs nähern. Das Mädchen denkt sich: Was ist denn jetzt los, schämt er sich wegen mir? In führenden Stellungen in Betrieben kann es sogar beruflich den Kopf kosten, Fehler zuzugeben. Oder in der Politik: ein anderer Schuldige muss gefunden werden, ein Bauernopfer, sonst werden die Rücktrittsforderungen allzu stark.

Im Sinne einer christlichen Lebensphilosophie merkt man aber: ganz so dumm ist es gar nicht, was in der Bibel steht. Längst haben Unternehmensberater und Managementlehrbücher erkannt, wie wichtig es ist, Fehler zuzugeben und anzugehen, weil nur so Verbesserungen möglich sind. Und im Zusammenleben wissen wir: Schwächen verbinden. Das Mädchen würde sich wünschen, dass ihr Freund vor seinen Kameraden nicht immer so cool und angeblich stark tun muss. Ja selbst die Anweisung der Bergpredigt, dem, der einen auf die rechte Wange schlägt, auch noch die linke hinzuhalten, kann in vielen Situationen viel klüger sein, als zurück zu schlagen und in eine eskalierende Gewaltspirale zu geraten.

In diesem Sinn wirbt Schleiermacher dafür, die Religion als höhere Weisheit anzuerkennen. Was beim ersten Blick veranlasst, den Kopf zu schütteln – „So ein Blödsinn“ – das sieht beim genaueren hinsehen gar nicht mehr so dumm aus, sondern viel vernünftiger als die Weisheit des angeblich gesunden Menschenverstandes. Und deshalb brauchen wir es als Christen nicht auf uns sitzen lassen, dass unser Glaube als Dummheit und Blödsinn beurteilt wird. Das ist der zweite Typ, mit Ablehnung umzugehen: dass wir unseren Glauben einsichtig, verständlich, akzeptabel machen wollen, dass wir Brücken bauen und Missverständnisse abbauen. Denn nach dieser Auffassung, entsteht Ablehnung hauptsächlich aus Missverständnissen. Also: Lass es dir erklären, vielleicht sind wir gar nicht so weit auseinander, wie du denkst.

Liebe Gemeinde, wie gehen wir als Christen mit Ablehnung unseres Glaubens um, wenn Menschen urteilen: So ein Blödsinn! Ich habe Ihnen zwei Typen geschildert: Paulus und Schleiermacher – nicht als sich ausschließende Alternativen. Christen und christliche Gruppen pendeln schon immer zwischen diesen beiden Polen. Beide Reaktionen haben ihr Recht und ihre Gefahr. Der erste Typ, Ablehnung als Stärkung aufzunehmen, die meinen Glauben gewisser macht, dieser Typ entwickelt eine hohe Unabhängigkeit. Ich weiß, woran ich glaube. Und was die anderen denken, ist mir letztlich egal. Und wenn die Welt voll Teufel wär, dichtet Martin Luther. Und in Worms beim Reichstag vor dem Kaiser und all den mächtigen Fürsten soll er gesagt haben: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Auch wenn die andern spotten, mich für verrückt und rückständig erklären. Gut, wenn der Glaube so stark ist, dass ihn nicht gleich jeder Sturm, jeder Angriff und Widerstand umhaut. Die Gefahr ist, dass ich nicht mehr gesprächsbereit, nicht mehr dialogfähig bin. Wer jeden Angriff als Stärkung erfährt, entwickelt womöglich so ein Märtyrerbewusstsein und sieht überall nur Feinde. Das Unverständnis, die Ablehnung wird zum Beweis, dass man selbst im Recht ist, dass man zu den Auserwählten gehört und die anderen zu den Verlorenen. Was muss ich ihre Fragen noch ernst nehmen?

Der zweite Typ, der seinen Glauben einsichtig machen will, der allen einen Zugang eröffnen und alle Hindernisse abbauen will, der entwickelt eine hohe Dialogfähigkeit. Ablehnung kann und will er nicht stehen lassen. Er geht ein auf die Fragen, auf die Zweifel des anderen. Ja, er gibt zu, dass er selbst manchmal die gleichen Fragen, die gleiche Kritik, die gleichen Zweifel in sich hat. Er will es dem anderen leicht machen zu glauben. Er will ein verständnisvoller, solidarischer, ernst zu nehmender Gesprächspartner sein. Wer versucht, das Denken nicht auszuschalten, sondern bewusst einzuschalten beim Glauben, z.B. wenn es um die Schöpfungsgeschichte geht, wer zeigen kann, dass das gar nicht im Widerspruch steht zu unseren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vom Urknall und der Evolution, der macht auch deutlich, dass man nicht alle Religionen, nicht jeden Glauben in einen Topf werfen kann und alles ohne Unterschied als religiöse Spinnerei verurteilen kann. Doch die Gefahr heißt hier: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Vor lauter Verständnis für die Fragen und Zweifel der anderen weiß ich selbst nicht mehr, was ich will und was ich glaube. Vor lauter Werben um Verständnis und im Versuch, es dem anderen leicht zu machen, verstecke ich, was anstößig sein könnte.

Doch das Wort vom Kreuz bleibt anstößig, bleibt ein Geheimnis. Für die einen ist es die größte Dummheit auf Gottes Erdboden – für die andern aber Gottes unbegreifliche Weisheit. Amen 

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz