Klimawandel – Schreckensszenario oder Chance zu neuen Lebensformen? Oder: Die nächste Flut kommt nicht von Gott

1. Mose 9


Liebe Gemeinde,

„Mit Hoffnung in die Zukunft“ – so lautet die Überschrift der 7.Predigtreihe der Akademischen Gottesdienste in Bayreuth. Mir wurde das Thema gestellt: „Klimawandel – Schreckensszenario oder Chance zu neuen Lebensformen?“ Eigentlich wollte ich ablehnen. Denn Hoffnung und Klimawandel ist für mich nicht wirklich ein natürliches Begriffspaar. Seit 10 Jahren bin ich in Bayern unterwegs und informiere, wie der Klimawandel insbesondere die Lebensgrundlagen gerade der Menschen einschränkt, die global am wenigsten Schuld an den steigenden CO2-Emissionen haben. Ich berichte von Südseeinseln, die unbewohnbar werden wegen des steigenden Meeresspiegels, oder von Menschen, die ihre angestammten Wohnorte im Sahel verlassen müssen, weil der Regen inzwischen noch häufiger ausfällt. Pervers! Gerade diese Menschen haben am wenigsten beigetragen zum Klimawandel.

Hoffnung macht mir auch nicht das politische Gebaren auf den diversen internationalen Konferenzen. Zum letzten Treffen der Staatschefs in New York flog unsere Kanzlerin nicht einmal selbst hin und die jüngsten Absprachen der EU-Staatschefs blieben auch dürftig. Jetzt hofft alles auf den großen Gipfel in Paris im Dezember 2015. Ob es da zu verbindlichen Absprachen kommen wird? Und ob die ausreichen werden? Und ob die noch rechtzeitig sind? Die Hoffnung stirbt zuletzt?

 

Vielleicht versteht man meine Zurückhaltung, diese Predigt zu übernehmen. Mir fehlt Hoffnung. Zu oft wurde sie gesät und wieder enttäuscht. Gleichzeitig dürfen wir uns nicht über die Dramatik der Lage hinwegtäuschen. Ich sehe nur drei grundsätzliche Konsequenzen des Klimawandels: setzt er sich ungebremst fort und wird nicht erfolgreich gegengesteuert, wird sich unsere Weltgesellschaft langfristig im Chaos wiederfinden. Eine zweites Szenario wären Formen von Öko-Diktaturen, die mit drastischen Maßnahmen die Menschen zu ökologischeren Verhaltensformen zwingen. Und ein drittes Szenario wäre ein weitreichender Umbau unserer Gesellschaft nach demokratischen Regeln. Sie selbst dürfen schätzen, welches Bild wie wahrscheinlich ist.

 

Wie ist es überhaupt so weit gekommen mit unserer Menschheit? Vielleicht hilft ein Blick zurück. Schon einmal stand die Menschheit am Abgrund. Davon erzählt uns das Alte Testament (1. Mose 6):

(5) Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, (6) da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen (7) und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.

 

Was jetzt kommt, kennen und lieben wir alle: die sagenhafte Errettung Noahs samt Großfamilie und aller Kreatur. Ich möchte unseren Blick allerdings auf die Situation lenken, als alles überstanden ist (9. Kapitel):

(1) Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt die Erde.  (2) Furcht und Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. (3) Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch alles gegeben.

Und weiter mit den Versen 6 und 8:

(6) Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht. … (8) Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: (9) Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit eurem Samen nach euch

 

Dieser Bund – übrigens ziemlich einseitig geschlossen – ist Gott offensichtlich so wichtig, dass er ihn mehrfach wiederholt und ein einprägsames Zeichen für diesen Bund wählt, den Regenbogen:

(12) Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich gemacht habe zwischen mir und euch und allen lebendigen Seelen bei euch hinfort ewiglich… Und dann in Vers 15: (15) Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allen lebendigen Seelen in allerlei Fleisch, daß nicht mehr hinfort eine Sintflut komme, die alles Fleisch verderbe.

 

Was hat ein romantischer Regenbogen mit den Schreckensszenarien der Klimawandelfolgen zu tun? Dazu noch einmal vier Schlüsselsequenzen unserer Lesung:

Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht … in eure Hände seien sie gegeben (Furcht und Schrecken vor euch) … daß nicht mehr hinfort eine Sintflut komme … ewiglich

 

Der Mensch wird von Gott über die übrige Schöpfung erhoben. Nur er ähnelt Gott, hat Seinen Odem erhalten. Diesem Menschen wird nun Natur und Kreatur auf Gedeih und Verderb, mit „Furcht und Schrecken“ ausgeliefert. Ein von Gott autorisierter Herrschaftsauftrag erlaubt Formen der Naturbeherrschung, wie sie auch heute noch in manchen Teilen unserer Erde undenkbar sind. In Papua Neuguinea, wo ich über 7 Jahre meines Lebens verbringen durfte, ist die Natur für viele Menschen beseelt. Es gibt heilige Orte in den Wäldern, über die man besonders Bescheid wissen muss. Sollte jemand dort Holz einschlagen wollen, besteht die Gefahr, dass die Naturgeister zurückschlagen. Das ist keine potenzielle Gefahr, sondern existenzielle Lebenswirklichkeit, für die, die es glauben.

Was heißt das für unseren Text: Noah und seine Leute brauchen vor Naturmächten keine Angst mehr zu haben. Der Herrschaftsauftrag gilt, magische Auflagen gibt es für sie nicht mehr. Dazu kommt neu die „Schöpfungsgarantie“, oder wie Carl Amery in seinem Buch „Das Ende der Vorsehung“ schreibt: die „kollektive Unsterblichkeit durch göttliches Edikt“. Denn Gott wird keine Sintflut mehr schicken, das hat er versprochen, und zwar auf ewig.

 

Herrschaftsauftrag verbunden mit Schöpfungsgarantie sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine rationale Gesinnungsethik oder – wie Max Weber es nennt – für die „Entzauberung der Welt“. Und das Christentum hat dafür gesorgt, dass diese Denkweise in alle Welt getragen wurde. Blieb der Einfluss des Judentums auf das Denken der Menschen über viele Jahrhunderte regional sehr begrenzt, so wirkte es nun durch das Christentum als „seed-bed-society“. Der „Samen“ einer rationalen Gesinnungsethik wurde in alle Welt getragen, die Welt global entzaubert.

 

Freilich gibt es Textpassagen in der Bibel, die das eben Gesagte relativieren können. Ich will sie heute aber nicht relativieren. Ich will festhalten: Unser Christentum war sehr wohl beteiligt, dass unser Denken der Natur gegenüber heute so ist wie es ist. Eine Entwicklungsgenese wie sie das christliche Abendland erlebt hat wäre eben ohne das Christentum undenkbar. Und einer der Auswüchse dieser Entwicklung ist eben der Klimawandel – unser Kennwort für eine (und nur für eine!) der global heraufziehenden Katastrophenszenarien.

 

Was bleibt uns zu tun? Schnell „Luthers Apfelbäumchen“ pflanzen mit der Hoffnung, gar so schlimm werde es schon nicht werden? Nein, ich meine, wir sollten uns zuerst der Wirklichkeit stellen. Wir sollten zum einen die Auswirkungen des Klimawandels für Gegenwart und besonders für die Zukunft wahrnehmen. Und wir sollten zum anderen an der Frage nach Globaler Gerechtigkeit verzweifeln –  ja verzweifeln, denn eine einfache Lösung hierzu gibt es nicht. Dabei wird eines allerdings nicht ausbleiben: Wir werden das Versagen unserer Politik, unseres Wirtschaftssystems und auch unser eigenes Versagen erkennen müssen. Wir stecken in einer Sackgasse, ein Umdenken und eine Umkehr sind erforderlich. Der griechische Begriff hierfür lautet μετάνοια-metanoia, das Wort, das unsere Theologen auch mit „Bekehrung“ übersetzt haben. Vielleicht brauchen wir ja genau das: eine Bekehrung weg von einem Glauben z.B. an die allmächtigen Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft? In jedem Fall müssen wir erkennen: die Klimakatastrophe ist menschengemacht, die Lösung muss deshalb auch vom Menschen kommen. Denn: die nächste Flut kommt nicht von Gott. Er hat seinen Bund noch nicht aufgekündigt.

 

Ich halte also fest: ein Umdenken, eine Umkehr im Sinne einer metanoia ist erforderlich. Oder ist es doch schon zu spät? Die Frage nach dem „zu spät“ will ich nicht gelten lassen. Immer noch können neue wissenschaftliche Erkenntnisse weitere Aktionskorridore eröffnen. Zum anderen widerspricht Resignation unserem christlichen Glauben. Der ist von einer realen, zumindest von einer prophetischen Hoffnung geprägt. Hier haben immer auch die kleinen von uns gesetzten Zeichen ihre Bedeutung.

 

Neben dem zeichenhaften Handeln könnte es aber auch sein, dass die Frage der Klimagerechtigkeit die Herausforderung Gottes an den Glauben in unserer Zeit schlechthin ist. Gott bricht seinen Bund nicht, aber Er möchte, dass wir uns unserer Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft wert erzeigen? Ist das die metanoia, die Bekehrung, die Gott heute von uns haben möchte?

Und dazu fällt mir dann doch einiges „Hoffnungsvolle“ ein. Gerade uns als Christinnen und Christen, aber eigentlich jedem Menschen mit „gesundem Menschenverstand“ ist unser Wirtschaftssystem mit zum Teil menschenverachtenden Arbeitsbedingungen schon lange suspekt. Es schmerzt uns zu sehen, wie Familien durch die Erfordernisse des Arbeitsmarktes getrennt werden, wie das burn-out-syndrom um sich greift, erst recht aber wie Menschen weltweit bis zum Umfallen schuften müssen, ohne auf gerechte Entlohnung hoffen zu dürfen. Wir sehnen uns nach einem Wirtschaften, das den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Vordergrund rückt, nach einem Wirtschaften im Dienst des Lebens. Von den erforderlichen politischen Forderungen will ich hier nicht viel erzählen, die müssen weiter gehen, auch wenn hier die Ergebnisse in letzter Zeit recht dünn ausgefallen sind.

 

Aber wir können ein neues Wirtschaften einüben, wir können eine Wende einleiten zu neuen Formen des Zusammenlebens. Vielleicht helfen uns dabei die drei Kernbegriffe der Nachhaltigkeitsstrategie: Effizienz - Konsistenz - Suffizienz.

-       Effizienz: da geht es um die ergiebigere Nutzung von Materie und Energie, um Ressourcenproduktivität also,

-       Konsistenz fordert einen natürlichen Stoffwechselkreislauf und damit die Vereinbarkeit von Natur und Technik

Damit können viele von uns gut leben. Vieles bleibt wie bisher, verkürzt gesagt: mit Leuchtdioden und Holzpellets zu grünem Wachstum. Das wäre schön, das muss man auch machen, aber es reicht nicht aus und oft werden die Emissionseinsparungen durch den rebound-effect wieder zunichte gemacht. Neben Effizienz und Konsistenz ist die

-       Suffizienz vielleicht der unbequemste Begriff: da geht es um die Verringerung des Konsums bzw. um einen geringeren Ressourcenverbrauch. Die Suffizienz meint eine Veränderung von Werten und Bedürfnissen in der Gesellschaft.

Wörtlich heißt Suffizienz ja „Genügsamkeit“. Es geht also auch um ein „sich bescheiden“, es geht um „weniger“: weniger Reisen, weniger Fleisch, weniger Besitzen. Also: weniger Spaß. – wirklich? Ich habe ein drei Ansatzpunkte ausgewählt, wo Suffizienz uns zu einem Mehr führen kann: z.B. zu einem Mehr an Gemeinschaft und Wohlbefinden, vielleicht sogar zu einem Mehr an echtem Leben.

 

1. Vielleicht haben Sie den Begriff share-economy schon einmal gehört, inzwischen ein echter Trend, der bereits wirtschaftlich ausgenutzt wird. Die Idee ist: nicht besitzen sondern teilen und gemeinsam nutzen. Wir haben in unserer Kirchengemeinde eine regionalisierte Internetplattform eingerichtet, über die Bücher, DVDs oder Gartengeräte verliehen werden können. Oder letzte Woche ganz ohne Internet eine „Stoffwechselparty“: Stoffe jeder Art wechselten ihre Besitzer: Lieblingsklamotten, Lesestoff, und Nährstoffe aller Art – auch flüssige. Dabei lernen wir neue Leute aus der Nachbarschaft kennen, wir erleben Gemeinschaft. Was in anderen Kulturen (noch) selbstverständlich ist, lernen wir neu: Wir erleben das „Wir anstelle des Ich“.

 

2. Den nächsten Punkt hat die Werbung längst besetzt: Emotionen, Gefühle, sie sind es, die unser Leben reich machen. Produkte suggerieren Status, versprechen Gefühle. Wir alle aber wissen doch, was unsere Gefühlswelt wirklich bereichert: Naturerlebnisse, kulinarische Genüsse (warum geben wir als Deutsche eigentlich vergleichsweise so wenig für gute Lebensmittel aus?). Tiefere Gefühle erleben wir in unseren Beziehungen, in unserer Ehe. Meine Frau und ich nehmen gerade an einem „Ehekurs“ teil. Unfug, nach 26 Jahren Ehe und 3 Kindern dachte ich anfangs. Nach den ersten 3 Abenden sehe ich es anders, gut investierte Zeit. Man kann Gefühle nicht kaufen, aber man kann ihnen Raum geben. Noch eine Anregung zum Thema Gefühle: Als gute Protestanten haben wir es nicht so mit der Körperlichkeit. Neulich hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Alltagserotik“. Am Krankenbett halten und streicheln wir die Hand der Patienten, im Segnungsgebet salbt uns jemand oder legt uns die Hände auf. Alltagserotik kann auch die christlich-geschwisterliche Umarmung sein, oder der urchristliche Kuss. Ich weiß, viele Menschen finden körperliche Nähe peinlich oder gar bedrohlich. Aber ich weiß auch, dass sich viele unserer Mitmenschen gerne von z.B. einem lateinamerikanischen Gast umarmen lassen, weil ein abrazo in anderen Kulturen eben üblich ist.

 

Apropos lernen von anderen Kulturen: Das erlaubt mir noch eine Seitenbemerkung zum Thema Flucht und Asyl. Deutschland wird mehr und mehr zu einer bewohnbaren Rettungsinsel in einer Welt von wachsender Gewalt und klimatischer Unsicherheit. Dafür können wir nichts, ganz im Gegenteil. Uns verpflichtet das aber zum Teilen. Schön ist es, dass an vielen Stellen in unseren Kirchengemeinden dieses Teilen bereits als vielfältige Bereicherung erfahren wird. Bei aller Belastung, die auch immer wieder berichtet wird.

 

3. Einen letzten Punkt will ich aufgreifen: Spiritualität. Wir überlegen ja immer noch, ob neue Formen des Zusammenlebens nicht zu einem Mehr an echtem Leben führen können. Und hier darf sich jede und jeder fragen, wieviel Raum die spirituelle Seite in Ihrem Leben hat. Woher beziehen wir unsere Kraft, um immer wieder gegen den „mainstream“ zu schwimmen? Was können wir von den Mystikern übers Leben lernen, von den alten und denen der letzten Jahre? Und ich frage mich manchmal, warum in vielen der sog. Entwicklungsländer Spiritualität und Transzendenz zum Alltag gehören. Einen Hinweis mag die Lebenserwartung geben. Ein Mensch, der vielleicht nur 50 Lebensjahre erwarten kann und häufig den Tod in seinem Umfeld erlebt, lebt und denkt anders als wir, die wir unsere Endlichkeit erfolgreich verdrängen. Ein „Memento mori“ – ein „gedenke, dass du sterblich bist“ könnte uns manchmal die Dimensionen gerade rücken für das, was wirklich wichtig ist. Denn ist unser irdisches Leben nicht nur wenig mehr als ein Wimpernschlag in der Geschichte unseres geliebten Planeten Erde?

 

Und doch ist es unsere Generation, die es in der Hand hält, diesen unseren blauen Planeten lebens- und liebenswert zu erhalten. Was für eine globale Herausforderung! Und was für eine Chance wieder zu einem Leben zu finden, wie Gott es uns durch Jesus Christus zugesprochen hat. Vielleicht hilft uns das Schreckensszenario des Klimawandels tatsächlich zu mehr globaler Verantwortung, bringt uns näher zu einer weltweiten Geschwisterlichkeit und zu neuen bereichernden wahrhaft christlichen Lebensformen? Vielleicht hilft es uns aber auch einfach, dem Beispiel von Jesus Christus konsequenter zu folgen.

 

Amen.



Autor: Dr. Jürgen Bergmann