Evang. Hochschulgottesdienst am 22. April 2018

2. Korinther 4, 16-18


2. Korinther 4,16–18

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. (Offb 1,4)

Liebe Gemeinde, unser heutiger Predigttext ist kurz. Aber es ist ein gewichtiger Text, in dem jedes Wort zählt. Hier ist in konzentrierter Form die Rede davon, was es heißt, eine Christin oder ein Christ zu sein. Der Predigttext für den heutigen Sonntag Jubilate steht geschrieben im Zweiten Korintherbrief, im vierten Kapitel, die Verse 16 bis 18:

 

16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. 17 Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, 18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

 

Der Herr segne dieses Wort an uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,passt das zum Sonntag Jubilate: Die Erinnerung ans Müdewerden, an die Vergänglichkeit, die Trübsal? Dieser Sonntag ist fürwahr herrlich: Die Sonne, die Blüten überall, sogar etwas früh dieses Jahr, der Gesang der Vögel –passen da die Erinnerungen an das Dunkle, an das, was nach unten zieht? Passt zu diesem Tag; dass wir uns abwenden vom Sichtbaren?

 

Ja, das passt, aber man muss schon genau zusehen: Es passt; weil das in unserem Text und weil das für uns, die wir Christen sind, nicht das letzte Wort hat und nicht einmal das vorletzte.Ja, das passt erst recht,weil die Herrlichkeit, von der wirreden und die wirglauben, nicht leugnet, dass unser Leben auch das andere kennt. Unser Gott steht nicht jenseits des Dunklen und des Schweren, sondern geht mitten hinein, und gibt das Licht, das unseren Weg erhellt.

 

Jubilate: Das ist der dritte Sonntag der Osterzeit; er bildet gleichsam die Mitte zwischen dem Osterfest und dem Fest Christi Himmelfahrt.Ostern regiert unseren Sonntag, wie jeder Sonntag eigentlich ein kleines Ostern ist; den Sonntag Jubilate freilich noch einmal in besonderer Weise. Jubilate –Jubelt! Jubelt, weil der Herr auferstanden ist.

Das ist freilich ein seltsamer Befehl: Jubelt! Ist Jubel nicht etwas, das von allein herausbricht, das sich Bahn schafft, wenn die Erleichterung, die Freude da ist? Wenn das entscheidende Tor gefallen ist, oder wenigstens der ersehnte Schlusspfiff –muss man dann noch dazu auffordern? Dann kommt der Jubel doch von ganz alleine.Ein Jubel auf Befehl: Das klingt bestenfalls merkwürdig; wie ja aucherzwungenes Danksagen etwas ganz anderes ist alsDankbarkeit.Hier aber ist das eine Aufforderung, weil sich das nicht von selbst versteht.

Es gibt ja genug, wasdem Jubel widerspricht. Wir werden nicht müde, schreibt Paulus; aber wir kennen das doch, dass wir müde werden. Freilich ist das auch bei Paulus nicht das selbstgewisse stabile Ich, das hier spricht, das sich von nichts berühren und bedrängen lässt, sondern das ist aus vielen schweren Bedrängnissen heraus gesprochen.

Wir werden nicht müde, das ist nicht die Beschreibung eines sonnigen Gemüts, sondern das liegt vor uns – da müssen und da können wir hineinwachsen, weil wir von dem wissen, der uns diesen merkwürdigen Befehl gibt. Ein anderer als Gott könnte das ja gar nicht sagen. Bei jedem anderen wäre das eine Ungeheuerlichkeit. Aber Gottsagt das, weil erdie Macht hat, dass das gilt.Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, schreibt Paulus.

Was immer wir an uns beobachten, an Schwächen, an Gebrechen, an Krankheiten und Einschränkungen – das alles wird ja nicht geleugnet. Das ist schon da in unserem Leben. Aber eben: Wenn auch... Der Satz fängt so ja erst an. Das ist das Eine. Aber das andere, das Entscheidende kommt ja erst noch. unser innerer Mensch wird von Tag zu Tag erneuert–das ist die Verheißung Gottes, die sichtbar und spürbar wird in unserem Leben von Tag zu Tag. Paulus spricht hier ohne jeden Zweifel –das ist so. Wir werdenerneuert.

 

Ob Paulus ohne Zweifel war? Sicher nicht. Und er lässt in seinen Briefen ja auch keinen Zweifel daran, wie oft er in Not und Bedrängnis war, und wie oft ihm bang war. Wenn wir auf unseren äußern Menschen sehen, dann ist da auch Anlass genug. Aber der innere Mensch –der wird erneuert, der wird getragen von Gottes Kraft. Liebe Gemeinde, was ist nun der innere Mensch, und was der äußere? Außen: der Körper, die Sinne, die Nöte und Begierden –innen: das Geistige, das Spirituelle, das Überirdische? Nein, so spricht unsere Bibel nicht. So reden die Philosophen zur Zeit des Paulus, die ein starkes, unerschütterliches Innen haben wollen, das mit den Gebrechen des Leibes, aber auch mit seinen Schönheiten nichts zu tun hat.

 

Der innere Mensch, das wäre dann der Mensch, der sich von der Welt nicht beeinflussen lässt, sondern in überlegener Seelenruhe seine eigene Stärke genießt. So redet unsere Bibel nicht. Und so redet auch Paulus nicht, auch wenn manches davon in der Geschichte des Christentums vertreten wurde. Aber dieses immer starke in sich ruhende Ich gibt es gar nicht. Es ist eine Täuschung, eine Selbsttäuschung –und es ist eine gefährliche Selbsttäuschung dazu. Denn wer sichvon den Wechselfällen des Lebens nicht berühren lassen will, der verliert das Auge und das Herz für die Welt und für die Anderen. Wer so Schwäche undLeid überwinden will, wirft damit das Gefühl über Bord und damit das Mitgefühl für die Anderen, für die Schöpfung–und zuletzt für sich selbst. Die Philosophen zur Zeit des Paulus halten das für Stärke. Und für viele Menschen heute ist das nach wie vor attraktiv. Ein stabiles Innen, dass sich hart macht gegen das Außen –das ist in Wahrheit Schwachheit, weil es die Welt an sich nicht heranlassen will. Und das ist Unglaube, weil es Gottes Schöpfung nicht an sich heranlassen will und damit auch Gott nicht. Wer seine Stärke in sich sucht, derzeigt damit doch, dass er nicht auf GottesStärke vertraut. Paulus redet anders vom Innen und Außen. Das zeigt ja auch der Fortgang unseres Predigttextes, der jetzt erst seinen Höhepunkt erreicht und jetzt erst ausspricht, wie wir jeden Tag erneuert werden.

 

Eben nicht dadurch, dass wir das Andere leugnen, dass wir verdrängen, was uns von außen, aber auch in unserem Inneren bedrängt. Das, was uns jetzt bedrängt und in Trübsal verfallen lässt, ist nicht unwirklich; aber es ist zeitlich und darum leicht, weil wir das andere kennen.Das griechische Wort θλῖψις, das hier imNeuen Testament steht, kann beides heißen: „Trübsal“, wie Luther ursprünglich übersetzt hat, oder auch „Bedrängnis“, wie es in der neuesten Revision der Lutherbibel steht. Beides gehört ja auch zusammen: Die Bedrängnis, die von außen auf uns zukommt, und dann die Trübsal, die in uns ist, weil so vieles uns beengt und die Kraft raubt. Ja, so ist unser Leben, und so fühlen wir uns oft. Und das Gefühl kennt der Apostel. Er leugnet es nicht und er verurteilt das nicht. Aber er stellt das in das Licht der Verheißung. Aus der Bedrängnis kommt der Weg in seine Herrlichkeit; nicht von Natur aus, aber weilGott das will. Weil Gott an Ostern gezeigt hat, was das Geheimnis dieser Welt und unseres Lebens ist. Das liegt nicht vor Augen; es ist nicht offensichtlich. Es ist verborgen, aber gerade darin unvergänglich.

 

Denn nur das, was unsichtbar ist, ist ewig.Was wirsehen, von Natur aus sehen, das ist vergänglich. Das Offensichtliche ist vorläufig, auch das Schöne und Gute. Wasaus Gott ist, das ist ewig und unvergänglich. Und darum kann man das nicht sehen; aber man kann es spüren und erfahren. Darum kann Paulus sagen: Das ist der innere Mensch. Das ist der Mensch, der nicht aus sich selber lebt und nicht aus dem, was er hat und was er kann. Sondern der Mensch, der aus Gottes Wort lebt und aus seiner Zukunft. Der Mensch, der auf Gottes Zukunft hin unterwegs ist.

 

Wer auf das Unsichtbare sieht, der flieht nicht aus der Welt. Im Gegenteil. Er muss nicht leugnen, was ist. Wer die Bedrängnisse an sich heranlässtund auch die Trübsal in sich nicht verdrängen muss, der kann auch das Schöne und das Gute dieser Welt an sich heranlassen. Wer weiß, was Gottes Zukunft ist, kann auch seine Schöpfung lieben. Wer auf das Unsichtbare sieht, kann das Sichtbare erst als das erkennen, was es ist: Schöpfung, in aller Gebrochenheit, und erst unterwegs zur Herrlichkeit –aber eben das: unterwegszu Gottes Herrlichkeit, und jetzt schon ein Gleichnis. Der Wochenspruch für den Sonntag Jubilate, auch aus dem zweiten Korintherbrief und nur ein Kapitel nach unserem Predigttext, spricht diesen Zusammenhang aus: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Kor 5, 17)

 

Man kann das mit dem griechischen Text noch stärker sagen: Ist jemand in Christus, so ist die neue Schöpfung da. Das Unsichtbare, die neue Schöpfung, die Vollendung –sie sind da, unter uns, verborgen in dem, was wir sehen können und so oft übersehen. Der neue Himmel und die neue Erde sind da, inmitten unserer Welt, und unser Leben als Christenmenschen ist ein Entdecken ihrer Schönheit und Wahrheit. Wie können wir lernen, das zu sehen?Wie wächst unser innerer Mensch? Der Name unseres heutigen Sonntags gibt uns da Hilfe: Jubilate! Jubelt! Das zu lernen, das ist nicht leicht. Das müssen wir üben. Aber das lohnt. Glauben lernen heißt, dass wir uns darauf einlassen, das Unsichtbare zu sehen inmitten des Sichtbaren, Gottes Wort mehr zu vertrauen als den tausend Stimmen dieser Welt, auch wenn sie noch so laut sagen, sie sagen, was realistisch ist. Und wenn da Trübsal ist und dunkle Gefühle uns bedrängen –wir wissen, dass da das auf uns wartet, was Gott für uns bereit hat. Das Sichtbar wird durchsichtig für das Unsichtbare. Das Vergängliche wird zum Gleichnis des Unvergänglichen. Und Gottes Zukunft greift nach unserem Heute, seine Herrlichkeit ergreift unser Leben. Wenn das kein Grund ist zu jubeln!Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Autor: Prof. Dr. Wolfgang Schoberth