Hoffnungsträger

Matthäus 11, 2-6


Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

 

Liebe Gemeinde,

Jesus Christus ist und bleibt unser Hoffnungsträger.

Sonst sucht man Hoffnungsträger zum Beispiel im Sport oder in der Politik. Der Autorennstall Ferrari verpflichtete für die neue Saison den jungen Weltmeister Sebastian Vettel. Nach dem Karriereende von Michael Schumacher waren die roten Formel-1-Rennwagen meistens der Konkurrenz hinterhergefahren. In der Fußballbundesliga versucht es der abstiegsgefährdete VFB Stuttgart mit dem alten Haudegen Huub Stevens. Und in der Politik sind sie besonders gefragt, die Hoffnungsträger, wenn sich ein miserables Wahlergebnis an das nächste reiht. Sehr viel ernster und dramatischer als die Frage, ob die FDP irgendeinmal wieder den Einzug in den Bundestag schafft, ist die Lage in Ländern, wo eine Diktatur herrscht, die Freiheit unterdrückt wird und Andersdenkende verfolgt werden. Da werden die Hoffnungsträger der Unterdrückten ins Gefängnis gesperrt oder gar ermordet.

Vielleicht sind oder waren auch wir selbst auf die eine oder andere Weise Hoffnungsträger für andere Menschen. Als Kind für die Eltern, als Schüler für einen Lehrer, als Freund oder Freundin für ein Mädchen bzw. für einen Jungen, als Berufsanfänger für den Chef, als Ehemann oder Ehefrau für den Partner, als Nachbar für den Nachbarn, und sei es nur deswegen, weil am Heiligen Abend der Spiritus für das Fondue ausgegangen ist; oder für den liegen gebliebenen Autofahrer, bei dessen Handy der Akku leer ist und er den Pannenservice nicht rufen kann.

Kurz gefasst kann man in allen diesen und vielen anderen Fällen sagen: Da kommt einer. Da geht ein Stern auf in der Dunkelheit. Da verbreitet einer Glanz und bringt Licht ins Dunkel. Eben, wie der Name sagt: er oder sie gibt Hoffnung.

Allerdings sind auch Zweifel angesagt. Kann er oder sie die Hoffnungen erfüllen? Zu oft sind sie enttäuscht worden. Johannes der Täufer sitzt im Gefängnis. Seine Hoffnungen hatten sich erst einmal ganz und gar nicht erfüllt. Dass da einer kommen soll, der Gerechtigkeit schafft; dass Gottes Gebote gelten und nicht die Willkürherrschaft eines König Herodes, der einen unliebsamen Kritiker einfach wegsperren lässt. Wie hatte Johannes geschwärmt von dem, dem er den Weg bereiten sollte, dessen Ankunft er verkündigen sollte wie die Bildzeitung damals den neuen Papst: „Wir sind Papst.“ So groß und so toll wird er sein, dass ich nicht wert bin, ihm die Riemen von seinen Sandalen aufzuknoten. So hoch und erhaben wird er sein, dass ich nicht würdig bin, mich zu seinen Füßen zu beugen, dem Akt tiefster Demut und Selbsterniedrigung.

Auch wenn unsere Hoffnungen und Erwartungen meistens realistischer und nicht so überzogen daher kommen dürften – außer man ist sehr verliebt – auch unsere Hoffnungen werden immer wieder enttäuscht. Man wird vorsichtiger, vielleicht auch realistischer. „Yes, we can!“ So hatte der amerikanische Präsident Obama die Hoffnungen genährt. Wie seine dunkelhäutigen Vorfahren gegen die Sklaverei gesungen hatten: we shall overcome, wir werden es schaffen. Die letzten Reste der Rassendiskriminierung ausfegen, die Benachteiligung der Schwarzen – in Ferguson brechen die Unruhen aus nach dem Freispruch des Polizisten, der einen jungen Schwarzen erschossen hat. Ein schwer zu durchschauender Fall, aber Zeichen dafür, wieviel Unzufriedenheit und Enttäuschung sich angesammelt hat. „Yes we can!“, als Vorreiter der westlichen Welt die Ideale von Freiheit, Menschenrechten usw. verkörpern und dem chinesischen Regime vorhalten, das nicht nur den freien Zugang zum Internet blockiert. Was ist daraus geworden seit Guantanamo und dem Bekanntwerden der Foltermethoden der CIA, bei denen selbst eigenen Mitarbeitern schlecht wurde.

Ich will nicht Politik machen, schon gar keine billige antiamerikanische. Es sind nur Parallelen zur Situation des Johannes in der Bibel, der auf Recht und Gerechtigkeit hofft, und jetzt unschuldig gefangen gehalten wird. In einer Zeit, als sich die Kaiser der Weltmacht Rom zu göttlichen Hoffnungsträgern hochstilisieren ließen, wie der große Augustus, der Friedensstifter und Mehrer des Wohlstands genannt wird. Johannes, der die Zweifel und Enttäuschung am eigenen Leib erlebt, schickt seine Freunde und Jünger zu Jesus, dass sie ihm die einfache, nüchterne Frage stellen: Bist du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Wir würden vielleicht hinzufügen: oder sollen wir überhaupt nicht mehr warten auf den großen Hoffnungsträger, weil ein jeder notgedrungen enttäuschen muss.

Schauen wir uns die Antwort Jesu genauer an und beginnen wir mit dem Schluss, sozusagen der „Conclusio“, der Schlussfolgerung wie beim mathematischen Beweis: Wohl dem, der sich nicht an mir ärgert. Das setzt voraus: auch über Jesus kann man sich ärgern. Auch er enttäuscht. Das fängt schon Weihnachten an. Die weisen Sterndeuter aus dem Orient, bei denen eine ganz spezielle Konstellation der Sterne die Hoffnung geweckt hatte, ein ganz besonderes Königskind muss da geboren sein, das Grund zu den größten Hoffnungen geben würde – die suchen es natürlich im Königspalast von Jerusalem und nicht im Viehstall. Diese zumindest anfängliche Enttäuschung steigert sich bis zum Kreuz, dem Skandal schlechthin, wie das Ärgernis in der Ursprache heißt. Das ist der Skandal, nicht nur der Justizskandal, dass ein Unschuldiger aufgrund offensichtlich falscher Zeugenaussagen verurteilt wird, dass er zuvor gefoltert wird. Das Ärgernis für die Jünger und alle, die an ihn glaubten, ist, dass ihr große Hoffnung gestorben ist. Die Hoffnung, Gott würde die Welt neu machen. Die Hoffnung, die er geweckt hatte, als er den Lazarus und die Tochter des Jairus vom Tod wieder ins Leben zurück holte. „Wir aber glaubten und hofften, klagen die beiden resignierten Jünger auf dem Weg nach Emmaus, dass er Israel, dass er sein Volk erlösen würde; ja, glauben wir Christen, dass er der ganzen Welt Erlösung bringen würde. „Welt ging verloren, Christ ist geboren“, singen wir an Weihnachten.

Die Hoffnung, die zuletzt stirbt oder bei manchen Menschen nie, hält gegen diese Enttäuschung trotzig fest und setzt ihr „dennoch“ entgegen. Dennoch bleibe ich stets an dir, auch wenn mir Leib und Seele verschmachten. Meistens aber würde die Hoffnung in uns tatsächlich verschmachten, verhungern, verdursten und ausdörren, wenn sie nicht immer wieder neue Nahrung bekäme. Jesus schickt dem fragenden und zweifelnden Johannes solche Nahrung ins Gefängnis, fast wie ein Essenspaket, wie sie jetzt gepackt werden zum Beispiel für Flüchtlingsfamilien bei uns oder für Kinderheime in Rumänien. (Da darf neben dem Lebensnotwendigen auch schon ein Spielzeug oder etwas Süßes dabei sein, denn dass man sich freuen kann, ist auch lebensnotwendig.)

Die Hoffnungsnahrung, die Jesus dem Johannes ins Gefängnis schickt, besteht aus Beispielen, aus Einzelerfahrungen. Jesus zählt nicht seine Leistungen auf, so wie ein Architekt oder eine Firma ihre Referenzen aufzählt, um zu zeigen, wie gut sie sind. Jesus zählt auf, was Menschen in seiner Nähe erleben: Blinde können wieder sehen und Lahme wieder gehen, Aussätzige werden rein und kehren zurück in ihre Familien, in die Gemeinschaft; Gehörlose können wieder hören, ja Tote stehen auf und Arme bekommen gute Nachrichten. Jesus verkündet kein Programm: ab heute keine Armut mehr, keine Aussätzigen und Ausgestoßenen. Ab heute sind alle gesund und die Toten werden wieder lebendig. Solch ein Programm für eine neue Zeit würde langfristig wiederum nur neue Enttäuschungen hervorrufen, besonders bei uns Christen und Menschen nach Ostern. Denn für uns ist ja mit der Auferstehung Jesu zwar eine entscheidende Wende geschehen, aber noch nicht alles neu geworden. Auch wir sitzen sozusagen noch im Gefängnis, sind zum Sterben verurteilt, auch wenn es nicht durch den Henker ist. Auch wir können nicht, wie wir wollen und stoßen an Grenzen wie Gefängnismauern und Gitterstäbe.

Aber wir erleben eben auch, was die Jünger des Johannes mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören können und was sie ihrem gefangenen Meister berichten sollen. Meistens sind das bei uns nicht diese spektakulären Wunder wie zur Zeit Jesu. Ja, wir könnten sogar die Erfolge der Medizin und der Technik dazu zählen, dass Gehörlose tatsächlich wieder hören können und Schwerhörige durch ein Hörgerät nicht mehr aus der Gemeinschaft ausgeschlossen sind, weil sie nicht verstehen, was die anderen reden. Und manches Unfallopfer, das dem Tode nah war oder für das es aussichtslos stand, wurde wieder geheilt. Das gibt Hoffnung. Und wir Christen sehen darin durchaus Gott am Werk, der Gebete erhört durch Jesus Christus, und zwar oft oder gar meistens auf sehr menschlichem Weg, wofür es dann genügend andere Erklärungen gäbe; wo wir aber durchaus ein Wunder sehen dürfen.

Ich komme beim Thema Gefängnis auf den Bericht über die Foltermethoden der CIA zurück, auch wenn das ein politisches Thema ist. Nicht weniger politisch ist ja die Aussage Jesu, dass die Armen gute Nachrichten bekommen. Der als großer Hoffnungsträger enttäuschende Präsident Obama hat es gewagt, den Bericht über die Gräueltaten des Geheimdienstes veröffentlichen zu lassen, obwohl es ihm persönlich sehr viel Kritik eingebracht hat und das Ansehen der Weltmacht USA zutiefst beschädigt hat. Aber nur solche Ehrlichkeit, solches Eingeständnis von Schuld macht frei. Das ist das Vorbild. Nicht anderen ihr Unrecht vorhalten, den Splitter aus dem Auge ziehen wollen – vielleicht ist es ein Balken oder gar ein ganzer Dachstuhl – sondern zuerst den Balken oder auch nur den Splitter aus dem eigenen Auge. Auch auf diese Art und Weise werden Augen, die bisweilen blind waren und nichts sehen konnten – wer kann schon richtig sehen, wenn er etwas ihm Auge hat – auch so werden Blinde wieder sehend. Das gibt Hoffnung. Und damit wir uns nicht der gleichen Täuschung schuldig machen, bekennen wir in der Beichte unsere blinden Flecken und unsere Selbsttäuschung. Dass Sünden vergeben werden, das sind für den, der glaubt, nicht nur leicht hingesagte Worte oder liturgische Formeln, sondern da geschieht genau das, was Jesus den Augenzeugen des Johannes zeigt: dass Menschen in Jesu Namen frei und erlöst werden.

Jesus Christus ist und bleibt unser Hoffnungsträger. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz