Erlösung ist die Lösung

Lukas 21, 25-33


Jesus sprach zu seinen Jüngern:

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,

26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.

28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:

30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.

31 So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.

 

Liebe Gemeinde!

Letzten Sonntag fröhlicher Jubel zur Wiedereinweihung der Stadtkirche: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Jesu Einzug in Jerusalem war Evangelium und Predigttext. Und heute nun gleich als Kontrast die Rede vom Untergang der Welt. Hat uns die Wirklichkeit nach dem Festrausch der ersten Woche in der so schön erneuerten Kirche gleich wieder eingeholt?

Unser Predigttext ist ein Teil der Rede Jesu über die Endzeit, wie sie - in Variationen – auch bei Matthäus und Markus überliefert ist. Die Theologen nennen sie die „kleine Apokalypse“ in Unterscheidung zur großen Apokalypse, dem Endzeitszenario, das das Buch der Offenbarung zeichnet.

Apokalyptisch sind die Zustände eigentlich immer. Inzwischen überschaue ich auch schon ein paar Jahrzehnte Menschheitsgeschichte und kann mich nicht erinnern, dass es längere Zeitabschnitte gegeben hätte, in denen die Katastrophen einfach mal ausgeblieben wären. Meine Kindertage waren noch geprägt von den Nachwehen des zweiten Weltkriegs, Flucht und Vertreibung der Eltern, jeder Verwandtenbesuch ein Flüchtlingstreffen. Die Heimatstadt noch in Ruinen. Im Rückblick kann man sich eigentlich nur fragen: Wie haben die das damals geschafft, nicht in Depressionen zu versinken sondern sich aufzurappeln, den Kopf wieder hochzukriegen?

Als Krankenhauspfarrer in der Psychiatrie wurde ich einmal Zeuge einer ganz alltäglichen Szene auf einer Station für depressive Patienten.  Eine ältere Dame war zu Besuch bei einer Patientin, die sehr schwer unter ihrer Depression litt. Als sie sich zum Gehen schickte, sagte sie zu der Patientin, das lange Gespräch mit ihr wohl noch im Ohr, "Kopf hoch, Frau X., das wird scho wieder!" Und im gleichen Moment wusste ich: Das war wohl gut gemeint, aber es war jetzt genau der falsche Rat!

"Kopf hoch!" das sagt man manchmal so dahin, zu einem Menschen, der "niedergeschlagen" ist und deshalb nichts anderes mehr sieht als seine unmittelbare Umgebung und damit eben immer nur sein Unglück.

„Kopf hoch!“ oder so ähnlich klingen auch die gutgemeinten Ratschläge für die vielen Menschen, denen man gerade jetzt in diesen Wochen vor dem Fest die Arbeit gekündigt hat, etwa bei Opel in Bochum. In deren Ohren klingen diese Worte sicher zynisch. Und auch in den Ohren der Menschen, die so verzweifelt nach einer neuen Heimat suchen. Was soll ich der kroatisch stämmigen Familie aus Bosnien sagen, die am Tag vor der Einweihung plötzlich in unserem Pfarrbüro anlandet? Eine Odyssee durch halb Europa liegt bereits hinter ihnen, - den ausgesprochen höflichen Kindern, dem ziemlich verzweifelten Vater und der völlig verstummten Mutter? Kopf hoch! Wird schon wieder?

Etwas Peinliches liegt in diesem "Kopf hoch!"; kaum die Spur einer Hilfe liegt darin. Eher die Hilflosigkeit des bemühten Helfers. Manchmal hab ich diesen Spruch mit der Ergänzung gehört: "Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist."
Da weiß man eben auch nichts Besseres als solches Gerede und mutet dem, der es sowieso schon schwer hat, noch eine besondere Anstrengung zu.

Bitte stellen Sie sich das mal vor: Jemand, der „niedergeschlagen“ ist, der also schon am Boden liegt, der soll den „Kopf heben“. Wer es je probiert hat, der weiß, wie schwer das ist. Wer am Boden liegt und den Kopf hebt, der sieht auch nicht viel mehr als sein Problem. Man muss erst wieder richtig „auf die Füße kommen“, damit man einen neuen Horizont gewinnen kann. Und das ist so wichtig, wenn man nicht vom eigenen Problem hypnotisiert sein will, sondern wenn man die Lösung  in den Blick bekommen möchte.

Es geht also nicht darum, dem „Niedergeschlagenen“ einen schönen „Ratschlag“ zu geben, - auch Ratschläge sind Schläge! - sondern es geht darum dem, der am Boden ist, eine konkrete Hilfe anzubieten; eine Hilfe,  die ihm wirklich auf die Beine hilft, die dazu beiträgt, dass er einen Sinn erkennen kann, für den es sich lohnt die anstehenden Probleme zu lösen.

Ein berühmter Kritiker des christlichen Glaubens im 19. Jahrhundert, der Philosoph Friedrich Nietzsche, - in Bayreuth ja kein Unbekannter, meinte, wenn der  Glaube wirklich ernst zu nehmen wäre, dann müsste er diese Wirkung haben, nämlich den Menschen helfen, auf die Beine zu kommen, erhobenen Hauptes zu leben, so dass man ihnen ihre Erlösung auch ansehen könne. Aber genau das würde er an den Christen vermissen und deshalb seien sie unglaubwürdig. Wie könnte man Nietzsche widerlegen?

Nun sagt ausgerechnet Jesus auch: "Kopf hoch!" Aber er sagt es aus einer anderen Perspektive, als wir das gewöhnlich tun. Er sagt es nicht als hilfloser Helfer; er spricht nicht von der Lösung von Problemen, sondern er sagt es im Hinblick auf die nahende Erlösung:  - Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!
Jesus weiß ja, wie es Menschen zumute sein kann:  dass sie niedergeschlagen sind, dass sie oft große Probleme haben. Egal ob krank, oder einsam, oder aus dem Job geflogen, oder von den Kindern gekränkt, oder vom Partner verlassen, davongejagt oder mit Todesangst im Herzen davongelaufen: Er weiß um unsere oft genug verzweifelte Suche nach Lösungen in unseren oft so verfahrenen Lebenssituationen und er bietet Hilfe an. - Aber auf einer anderen Ebene! Hilfe kommt! - verspricht er. Erlösung naht! Und hier liegt wohl der entscheidende Hinweis:

Es geht dem Glauben, der Nietzsche so verdächtig ist, nicht um Lösungen sondern um Erlösung! Und das bedeutet ja nichts anderes, als um die Entdeckung von Sinn, von Hoffnung, von Lebensgrund, wo alles sinnlos und hoffnungslos und lebensverderbend geworden zu sein scheint. Kein noch so frommes, salbungsvolles Wort wird dem Opelarbeiter den Job zurückbringen oder irgendeinem Patienten im Krankenhaus die Gesundheit wiedergeben oder der Familie aus Bosnien ein neues Heim und den Menschen in den Pflegeheimen und Senioreneinrichtungen die Jugend und Spannkraft wieder geben können.
Aber wenn dieses Jesuswort von der nahenden Erlösung auch nur einem einzigen dazu verhilft, seinen Glauben wiederzufinden, den Sinn in seinem Leben neu zu entdecken, die Hoffnung auf Lösungen nicht aufzugeben, die Dinge anders und neu zu sehen, vielleicht die eigenen Kräfte neu zu bewerten,  neu einzusetzen, weil es sich lohnt!, dann hat Nietzsche schon verloren. 

Das, worum wir in jedem Vaterunser beten: "Erlöse uns von dem Bösen", das wird geschehen, sagt Jesus, ganz gleich, wie die Lage augenblicklich ist. 

Erlösung noch nicht jetzt, nicht sofort, nicht augenblicklich, aber sie "naht sich", sagt Jesus, sie ist im Kommen, sie kommt auf mich zu. Nichts anderes ist die Botschaft der Adventszeit!

Ich finde das ist ein ganz wichtiger Aspekt:
Nicht ich muss für meine Erlösung ackern und arbeiten, nicht ich muss mich auf den Weg machen um sie zu suchen, sondern sie kommt, ganz von selbst ...

Stimmt das? Kann ich mich auf diese Ankündigung verlassen? Kann man auf so ein Versprechen hin wirklich den Kopf heben, sich aufrappeln, auf die Beine kommen und in einem neuen, erweiterten Horizont leben?

Ich denke man kann es; weil die Erlösung durch den Jesus angekündigt wird, der sie dann auch selber erfahren hat: es ist der auferstandene Christus, der das Heilsversprechen einlöst.
"Seht auf, erhebt eure Häupter! Eure Erlösung ist zu euch unterwegs!"  

Für einen Christen hat dieses "Kopf hoch" deshalb einen anderen Klang. Es bleibt nicht die hohle Phrase eines hilflosen Helfers, sondern es ist die Erinnerung an meinen Glauben und damit an meine Hoffnung:

  "Kopf hoch, schau nicht immer an die schwarze Wand dieses tiefen, schwarzen Loches, in dem du gerade steckst. Schau hinauf zum Himmel. Von dort kommt dein Licht und dein Heil!
Vor wem solltest du dich dann noch fürchten? Dann wird dir auch die Kraft zuwachsen, die du brauchst, um mit deinem Problem recht umzugehen!" 

War es diese Hoffnung, dieser Trost, diese Zuversicht, die meinen Eltern und den anderen damals die Kraft gegeben hat, mit der Katastrophe umzugehen? Wir könnten heute wieder viel davon gebrauchen, denn Apokalypsen wird es mit Sicherheit immer wieder geben.
Himmel und Erde werden vergehen, sagt Jesus selbst: aber meine Worte vergehen nicht! 
Na also!

Amen.

 

 



Autor: Pfarrer Hans-Helmut Bayer