Warum Leid Sinn macht

Johannes 12, 20-26


Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus,

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, wissen Sie, wozu es gut ist, dass es Sie gibt? Wissen Sie, wie Ihr Leben gelingt? Wie ihr Leben fruchtbar wird? Der heutige Predigttext gibt die Antwort. Aber wir müssen dazu die Frage anders stellen, als gewöhnlich. Wir fragen normalerweise: Wie werde ich glücklich? Wie kann ich Leid vermeiden? Wie kommt Schönheit in mein Leben? Wie werde ich reich?

Alle diese Fragen, so unterschiedlich sie auch sind, drehen sich immer um die eigene Person, um die eigene Befindlichkeit. Der Predigttext dreht sich dagegen um die Wirksamkeit, um die Ausstrahlung nach außen, um die Bedeutung des eigenen Lebens für andere.

Er antwortet nicht auf die Frage, wie es mir gut gehen kann, sondern wozu es gut ist, dass es mich gibt, wie mein Leben einen Sinn gewinnt. Gehen wir noch einmal durch den Text.

 

Johannes 12, 20 ff
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.

Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen:

Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.

 

Es waren einige Griechen unter denen, die zum Fest kamen. Was tun denn Griechen unter den Juden in Jerusalem? Moment, es sind Juden, aus der griechischen Diaspora, von denen hier die Rede ist. In Jerusalem wird das Paschafest gefeiert, der religiöse Höhepunkt des Jahres. Dazu kommen die Pilger von weither, selbst über das Meer von Griechenland kommen sie, um anzubeten, heißt es hier. Ich finde das griechische Wort im Urtext so bezeichnend, weil es deutlich macht, was die Menschen wollen: Proskynein - anbeten. Die Übersetzung ist eigentlich viel zu schwach. Im Wortsinn übersetzt könnte es heißen, „Sich demütig wie ein Hund zu Boden werfen, um Gott die Ehre zu geben“. Am vergangenen Montag hatte ich bei unserem Urlaub auf Zypern im Kloster Machaira Gelegenheit zu sehen, wie sich die Mönche, wie sich Menschen vor der Gegenwart Gottes, die sie im Abendmahl präsent glauben, in Demut zu Boden werfen. Für uns hier heute schwer vorstellbar, aber nicht nur für orthodoxe Christen, sondern auch für Muslime ist das gelebter Glaubensvollzug - und es ist ja auch noch nicht lange her, dass wir uns zum Empfang des Abendmahls hingekniet haben.

Zurück zu den griechischen Pilgern im Predigttext:

 

Pilger, das sind Menschen auf der Suche nach dem Lebenssinn, nach dem tiefen Grund ihres Lebens und sie haben sich auf den Weg gemacht in der festen Zuversicht, dass sie die Antwort darauf im Vollzug ihres Glaubens, ihrer Religion finden werden. Was ist der Sinn meines Lebens? Wozu ist es gut, dass es mich gibt? Letztlich sind wir alle heute Morgen hier in diesem Sinne Pilger. Wozu sonst sind wir hierhergekommen?

Die „Griechen“ damals fragen sich: Weiß dieser neue Wunderprediger, dieser Jesus, von dem sie hier alle sprechen, möglicherweise die Antwort auf unsere Fragen?

    (23) Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde.

Nichts da also, mit Antworten auf Sinnfragen. Oder etwa doch?

Der göttliche Glanz Jesu soll in der Welt strahlen. Luther übersetzt: Die Herrlichkeit Jesu soll sichtbar werden.

Und das geschieht nicht, indem die Engel vom Himmel kommen und sich um ihn herum gruppieren und laut rufen: Dies ist der Sohn Gottes. Sondern sein Lebenssinn erfüllt sich, indem er in die schrecklichsten Tiefen, die ein Menschenleben zu bieten hat, hinabsteigt, indem er unter furchtbaren Schmerzen gefoltert wird und elend am Kreuz stirbt. Jesus kündigt an, wie diese Verherrlichung geschehen soll:

(24) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.

(25) Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.

Jesus sagt damit: Dadurch, dass das geschieht wird mein Leben fruchtbar. Indem ich mein Leben verliere, werde ich es in Ewigkeit gewinnen. Indem ich mein Leben verliere, werdet Ihr ewiges Leben gewinnen. Und er unterstreicht diese Aussage mit diesem Bild: Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.

Jesus fährt fort: Was für mich gilt, gilt auch für euch.

Johannes drückt das so aus: Alle, die ihr Leben lieben, verlieren es; und alle, die ihr Leben in dieser Welt hassen, werden es bis in das ewige Leben bewahren. Die mir dienen, sollen mir folgen; und wo ich bin, dort werden auch die sein, die mir dienen.

Wenn wir Jesus folgen, werden wir da sein wo er ist.

Das heißt, hier in dieser Welt werden wir durchaus in Schwierigkeiten, in Leid und in bitteren Auseinandersetzungen sein. Aber wir werden auch in der Ewigkeit dort sein, wo er ist, - nämlich im göttlichen Lichtglanz und im ewigen Leben.

 

Kommen wir mit diesen Widersprüchen klar? Sterben, um zu leben? Das Leben verlieren, um es zu gewinnen? Das Leben in dieser Welt hassen um es in Ewigkeit zu bewahren? Wie sollen wir das verstehen?

 

Ich erkläre am besten erst mal, wie es nicht zu verstehen ist. Vielleicht kommen wir der Sache dann näher. Diese Sätze wurden ja lange missverstanden, etwa so: Hier, in diesem Leben lebe ich anständig und moralisch, ich opfere mich für andere auf und dann bekomme ich nach meinem Tod den Lohn dafür im Himmel in Form des ewigen Lebens. Und wenn ich besonders aufopferungsvoll war. Dann bekomme ich sogar einen Fensterplatz. Aber so ist das nicht zu verstehen. Denn ewiges Leben fängt ja nicht erst nach dem Tod an, es hat ja längst begonnen: hier schon auf dieser Erde. Aber wie sind die Widersprüche dann zu verstehen: Sterben um zu leben? Das Leben verlieren um es zu gewinnen? Das Leben in dieser Welt hassen um es in Ewigkeit zu bewahren?

 

Ich bin davon überzeugt, es geht um Entwicklungsaufgaben. Wir bleiben nur lebendig, wenn wir uns ständig verändern und uns neuen Herausforderungen stellen und die Verbindung zu den anderen stärken. Tot bin ich, wenn ich mich den ganzen Tag vor den Fernseher hocke, mich unterhalten lasse, mir ab und zu ein paar Chips hole und eine Pizza aufbacke und mich ansonsten nicht für die Menschen in meiner Umgebung interessiere. Wenn ich so lebe, dann lebe ich an dem Leben, das Gott mir geschenkt hat vorbei, und ich bin eigentlich schon tot, bzw. auf dem Weg in den ewigen Tod.

Anders, wenn ich diesem Jesus nachfolge: Dann interessiere ich mich - wie er! - für andere Menschen. Dann nehme ich Anteil daran, wenn die Nachbarin über Schmerzen klagt, dann lasse ich den Freund erzählen, dass er nachts nicht mehr schlafen kann, weil er nicht weiß, wie lange er sein an sich gesundes Unternehmen noch halten kann. Ich halte mit ihm zusammen seine Angst aus. Dann höre ich meiner Schwiegertochter zu, wenn der Stress an der Uni zu groß wird. Wenn wir so leben, dass wir in unserem Leben Raum für die Probleme anderer Menschen lassen, dann verlieren wir freilich durchaus etwas von unserer eigenen Lebenszeit, Zeit, die wir nicht unserem eigenen Vergnügen widmen können. Wir   verlieren - wie Jesus sagt – einen Teil unseres Lebens. Aber wir gewinnen dafür neues und viel intensiveres Leben. So zu leben ist ungeheuer sinnvoll und befriedigend.

 

Aber kann es so einfach sein, Jesus nachzufolgen? Ist das wirklich gemeint, wenn da steht: Alle, die ihr Leben in dieser Welt hassen, werden es bis in das ewige Leben bewahren.

Das eigene Leben hassen, ist das nicht etwas ganz anderes, als ein bisschen Freundlichkeit im Alltag und Anteilnahme an den Schwierigkeiten der anderen?

Nein, ich glaube nicht. Denn ich kann nicht wirklich auf andere zugehen und mit ganzem Herzen bei ihnen sein, wenn ich mich nicht öffne für die Kraft Gottes. Und wenn ich mich auf die Gegenwart Jesu Christi in dieser Welt einlasse, dann ist es manchmal nötig, das eigene Leben zu hassen, weil ich sonst nicht die Kraft finde, mich von Gott her verändern zu lassen. Hass ist ein starkes Gefühl und es braucht starke Gefühle, um etwas im eigenen Leben zu verändern. Wir müssen die Ungerechtigkeit hassen, damit wir lernen uns für die Gerechtigkeit einzusetzen. Wir müssen den Krieg hassen, wenn wir den Frieden wollen. Wenn wir etwas Falsches und Böses nicht hassen, werden wir nicht die Kraft finden, dagegen zu kämpfen, um uns und andere daraus zu befreien.

Gibt es in Ihrem Leben nicht genug, was Sie tatsächlich hassen, an sich selbst, in Ihrer Familie? Dann hassen Sie bitte das, was in Ihrem Leben schief läuft, um es zu verändern. Der Weg in ein gutes, sinnvolles Leben führt darüber, dass wir Dinge, die falsch sind, aufgeben. Manches in uns muss sterben, damit wir lebendiger werden können. Sei es der Hang, sich selbst so furchtbar wichtig zu nehmen, oder diese schreckliche Trägheit, oder so manche Besessenheit oder Sucht.

Und – man muss manchmal auch etwas riskieren, auch wenn das zu Schwierigkeiten führt. Fruchtbares, sinnvolles Leben heißt eben auch, dass wir nicht immer allen Schwierigkeiten elegant ausweichen dürfen. Es gehört auch die Bereitschaft dazu, sich gegebenenfalls zu irren, Fehler zu machen, aber dann auch wieder umzukehren – das ist gemeint mit Buße! - Und vor allem: Nicht aufzugeben! Durch gemeisterte Schwierigkeiten hindurch vertiefen sich unsere Beziehungen, gewinnt unser Leben Sinn und Tiefe. Das ist gemeint mit dem letzten Satz unseres Predigttextes:

(26) Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn mir jemand dient, so wird der Vater ihn ehren.

Jesus Christus hat uns gezeigt, wie extrem fruchtbar es sein kann, Leiden freiwillig auf sich zu nehmen. Er hat seine Botschaft mit seinem Tod bezeugt. Viele sind ihm gefolgt. Ich glaube nicht, dass jemals jemand gelebt hat, der die Welt in stärkerem Maße verändert hat als dieser Jesus von Nazareth, und das in nur drei Jahren öffentlichen Auftretens.

Christus zeigt uns den Weg zu einem guten, sinnvollen Leben hier auf dieser Erde, das mit dem Tod nicht zu Ende sein wird. In der Passionszeit konzentrieren wir uns auf die dunkle, leidvolle Seite dieses Weges zum ewigen Leben. Diese dunkle Seite kann uns zum Licht werden, wenn wir ihr nicht ausweichen. Aber dann werden wir auch die Erfahrung machen: Ich bin nicht allein. Jesus Christus ist bei mir. Er hat das, was ich vielleicht gerade durchstehen muss, auch erlebt, die Angst und die Verzweiflung.

Jedes Leben enthält eben auch Schmerz und Angst und Verzweiflung. Aber dass wir darin die tröstliche Gegenwart Jesu spüren dürfen, die uns da hindurch trägt, das ist die Verheißung, mit der wir leben.

 

Amen.



Autor: Pfarrer Hans-Helmut Bayer